Flüchtlinge vor einem Jahr an der Grenze – „Sie haben sich so auf Deutschland gefreut“ – Teil 1

Helfer Karl Heinz Müller kritisiert Flüchtlingspolitik – „Es wird keinen Ansturm mehr geben“

 

Von Michael Hudelist

 

Teil 1

 

Salzburg, Fridolfing. Hunderte, freiwillige Helfer aus Salzburg und Freilassing haben vor einem Jahr die ankommenden Flüchtlinge versorgt, erst am Hauptbahnhof, später dann an der Saalachbrücke und in der ehemaligen Autobahnmeisterei. 350.000 waren am Jahresende über Salzburg in die Bundesrepublik eingereist. Dass  vor allem an der Grenzbrücke zur Freilassing Tumulte ausgeblieben sind ist auch dem 77-jährigen, pensionierten Unternehmer aus Fridolfing Karl Heinz Müller zu verdanken. Mit seinem Platzkarten-System mit Hilfe von Buchstaben hat er die Einreise in die Bundesrepublik organisiert, Kritik daran weist er zurück. „Ich habe Flüchtlingen nur ein Band an den Arm gegeben damit sie sich nicht selbst überholen, damit nicht die Ellbogenstarken vorne sind und die Familien und die Kinder zurückbleiben“, so Müller. Heute wie damals sieht er sich auch nicht als „Gutmensch“, im Gegenteil.

 

Grenzkontrolle Freilassing 17Sept2015 (4 von 84)
Archiv, 17. Sept. 2015

 

Ein Rückblick: Am Abend des 13. September 2015 starten die vom deutschen Bundesinnenminister kurz zuvor angeordneten Grenzkontrollen, auch an der Saalachbrücke zwischen Salzburg und Freilassing. Der Bahnverkehr zwischen Österreich und Deutschland ist komplett eingestellt, daher machen sich hunderte Flüchtlinge vom Hauptbahnhof aus in Richtung Saalach auf. Die Bundespolizei lässt anfangs rund zehn Migranten pro Stunde passieren, die breiten Gehsteige vor der Mitte der Brücke und der Platz davor füllen sich schnell mit  Männern, Frauen und Kindern, zu Spitzenzeiten sind es rund 2000 Menschen. Auf österreichischer Seite ist keine staatliche Hilfe zu sehen, keine Polizei, niemand von Stadt oder Land; es sind ausnahmslos Freiwillige aus Salzburg und Freilassing, die an den ersten Tagen die Menschen mit dem Nötigsten versorgen. Unter ihnen auch der pensionierte Unternehmer Karl Heinz Müller aus Fridolfing. „Ich war zuerst schockiert über den Zustand der Frauen, Kinder und Babys, zum Teil eben erst  geboren, mitten auf der Brücke“, erinnert sich Müller. Es herrscht Chaos, niemand greift auf österreichischer Seite ordnend ein, jüngere  Asylbewerber drängen oft rücksichtslos nach vorne, „alle wollten ganz nahe an der Mitte der Brücke sein, wo für sie das Paradies begann“. Um dem Gedränge und Geschiebe vor den Absperrgittern der Bundespolizei ein Ende zu bereiten, teilt Müller die Gehsteige erst in Sektoren ein, „jeweils zwanzig Personen oder  Familien in einem Sektor“, später führt er eine Art Platzkarten-System ein, mit Buchstaben. Jeder ankommende Flüchtling bekommt einen Warte-Buchstaben, zuerst auf das Handgelenk, später auf Handbänder geschrieben.

 

Sektoren Flüchtlinge Grenzbrücke(7)
Archiv, Sept. 2016

 

 

Paradies in Sichtweite

 

Bis Ende Oktober warten hunderte, oft auch tausende  Migranten auf ihr „Paradies“, dass sie auf der anderen Seite der Saalach schon sehen, aber jetzt zumindest einigermaßen  human, mit Warte-Bändern versehen und von Freiwilligen mit Essen, Trinken und Bekleidung versorgt. Nicht nur die Flüchtlinge profitieren von dieser privat organisierten Ordnung auf österreichischer Seite, auch die Deutsche Bundespolizei auf der Brücke atmet auf. Der Zollamtsplatz und die Wiese vor der Böschung wirken wie ein großer Campingplatz, die staatlichen Stellen konzentrieren sich immer noch ausschließlich auf den Hauptbahnhof, „nur die Müllcontainer der Stadt waren dann relativ schnell da“, erinnert sich Müller.

 

An diesen Septembertagen haben Österreichs offizielle Stellen noch Angst, ihre Hilfe würde als „Schlepperei“ ausgelegt werden, „einzig Salzburgs Vizebürgermeister ist immer wieder vorbeigekommen und hat gefragt, ‚Braucht’s was?‘“. Zwischen 2000 und 4000 Flüchtlinge reisen pro Tag über Freilassing ein, sei es mit Sonderzügen vom Hauptbahnhof aus oder über die Saalachbrücke. Ab Oktober übernimmt Deutschland keine Sonderzüge mehr aus Österreich, die Situation an der Saalachbrücke spitzt sich wieder zu, Stadt und Land eröffnen daraufhin ein großes  Transitlager in der ehemaligen Autobahnmeisterei in Liefering,  aber drei Kilometer vor der Grenze wollen anfangs viele Flüchtlinge nicht mehr dort bleiben. Doch auch in dieser Situation bewährt sich das Müllersche Wartesystem, denn alle Flüchtlinge müssen ihr Band mit ihrem Buchstaben nun in der ehemaligen Autobahnmeisterei abholen und dort in der Regel 24 Stunden warten, bis sie mit Bussen zum letzten Transitlager an der Grenze gefahren werden. Dort werden die Freiwilligen mittlerweile von Soldaten des  Österreichischen Bundesheers  unterstützt.

 

Müller bezieht mit seinen Bändern in einer Halle der ehemaligen Autobahnmeisterei Quartier, rund 200.000 Flüchtlinge werden von ihm und zahlreichen Helfern in den folgenden Wochen und Monaten „bebändert“ und anschließend in den Großzelten versorgt, auch hier wiederum ausschließlich von vielen Freiwilligen, zum Beispiel den Muslim Hands, die für die Schutzsuchenden kochen. „Dieses Bebändern wollte kein Beamter oder staatlicher Angestellter machen, alle hatten irgendwie  Angst, sich am öffentlichen Schleusen zu beteiligen“, erinnert sich Müller. Die offizielle, österreichische Version war damals noch: die Menschen sind nur auf der Durchreise nach Deutschland, wir versorgen sie so gut es geht.

Armbänder Müller Flüchtlinge(3)

 

Kritik an „deutscher Hilfe“

 

Dass ein Deutscher in Österreich die Einreise von Flüchtlingen nach Deutschland organisiert ist in seinem Bekanntenkreis schon damals zum Teil auf Unverständnis gestoßen, „aber ich habe Flüchtlingen nur ein Band an den Arm gegeben damit sie sich nicht selbst überholen, damit nicht die Ellbogenstarken vorne sind und die Familien und die Kinder zurückbleiben“. Er habe die Flüchtlinge weder nach Deutschland geholt, noch sie ins Land gelassen oder kontrolliert. Heute, fast ein Jahr später, hört er in seiner Gemeinde aber auch Vorwürfe wie „Du warst beteiligt, du warst ein Teil des Räderwerkes“. Dann wiederholt er unaufhörlich, dass es ihm immer nur um eine menschenwürdige Behandlung der Männer, Frauen und Kinder gegangen sei.

 

Dass die Stimmung in Deutschland gekippt ist will Müller schon im November gemerkt haben, „nach außen hin lautete die Devise zu diesem Zeitpunkt noch, ‚Wir nehmen alle‘, aber in Wirklichkeit hat Deutschland sukzessive begonnen, an den Stellschrauben zu drehen“, so Müller. Die Zahl der Zurückweisungen sei gestiegen, also Flüchtlinge, die Deutschland nicht wollte und nach Österreich zurückgeschickt hat. Auch in Österreich ist seiner Meinung nach die Stimmung früh gekippt, mitbekommen hat er es aber ausschließlich über Leserkommentare auf diversen Online-Plattformen oder in Boulevard-Zeitungen.

 

Ende Teil 1, im zweiten Teil lesen Sie,  was Karl Heinz Müller von der Willkommenskultur hält und wie Deutschland die offizielle „Alle dürfen rein“-Politik klammheimlich geändert hat.

Ein Gedanke zu “Flüchtlinge vor einem Jahr an der Grenze – „Sie haben sich so auf Deutschland gefreut“ – Teil 1

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