Deutsche „Bildungsflüchtlinge“ in Salzburg

 

Emina im Abendgymnasium: „Das alles kostenlos ist hat mich sehr gewundert“

 

– Von Michael Hudelist –

 

Salzburg, Traunstein, Traunreut. „Bücherverbrennung 1933 in Berlin“ ist das Thema in der Deutschstunde für Schüler des Abendgymnasiums am Abend, „was sagt Kästner zur Verbrennung, wer hat das angeordnet“, fragt die Lehrerin, nachdem eine Schülerin eine Passage vorgelesen hat. Draußen ist ein lauer Juni-Sommerabend, in der Klasse an der Salzach sitzen 16 Schüler, darunter Emina Mazur aus Traunreut und Nadine Waritschlager aus Traunstein. Insgesamt drücken am Abendgymnasium 500 Berufstätige die Schulbank, darunter 70 aus Bayern. „Mit den Grenzkontrollen und den langen Anfahrtswegen sind es weniger geworden, mit der neuen, sehr guten S-Bahn-Verbindung von Freilassing kommend hoffe ich, dass es wieder mehr werden“, so Schuldirektor Gerhard Pusch, „die S-Bahn-Haltestelle Altstadt-Mülln ist ja quasi direkt vor unserer Schultür“.

 

Mazur Emina, Waritschlager Nadine_Abendgymnasium (1)
Emina Mazur (li.) und Nadine Waritschläger sind zwei der 80 bayerischen Schüler am Abendgymnasium, Mazur fühlt sich als „Bildungsflüchtling“ in Salzburg sehr wohl.

 

Emina Mazur fährt zweimal in der Woche nach ihrer Arbeit in einer Sozialtherapeutischen Einrichtung in Traunreut nach Salzburg ins Abendgymnasium an der Lehener Brücke. Die 42-Jährige hat eine bewegte Geschichte, vor den Bürgerkriegswirren ihrer früheren Heimat Jugoslawien flüchtete sie erst nach Nordrhein-Westfalen, verbrachte dann einige Jahre mit ihrem Mann in Fuerteventura und kam dann vor acht Jahren schließlich mit den beiden Kindern nach Traunreut. Sie hatte zwar ein Abitur ihrer Heimat in der Tasche, aber das wurde in Deutschland nicht anerkannt, „nach deutschem Recht hatte ich nicht einmal einen Hauptschulabschluss“. Neben ihrer Arbeit in einer Wohngruppe wollte sie sich weiterbilden und in Deutschland das Abitur nachholen, doch ohne finanzielle Unterstützung und mit einem Vollzeitjob schieden einige Angebote aus, „ich war frustriert, das Kultusministerium hat mir ein Abendgymnasium in München vorgeschlagen, aber wie sollte ich das täglich von Traunreut aus schaffen“. Ein Tipp bringt sie schließlich auf die Salzburg-Fährte, „am Sonntag habe ich mich Online angemeldet und am Montag war schon ein Mail da mit der Bitte um Zeugnisse“. Mazur dachte, ihre jugoslawischen Zeugnisse würden ohnehin wieder nicht anerkannt und reagierte nicht. Am Dienstagabend kam ein Anruf aus Salzburg, der Direktor persönlich rief an, „ich bin aber eben beim Kochen“, sie nahm den Anruf erst nicht ganz ernst, „stellen sie ihre Töpfe kurz beiseite, es geht um ihre Zukunft“, erinnert sich die Schülerin heute noch an die Worte des Direktors.

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Dann ging alles ganz schnell, schon eine Woche später saß Mazur in einer Klasse des Abendgymnasiums, das im Christian-Doppler-Gymnasium an der Lehener Brücke untergebracht ist. „Was mich sehr überrascht hat war auch, dass alles kostenlos ist, der Unterricht, die Bücher, das ist das Beste, was mir passieren konnte, ich bin jetzt sozusagen ein Bildungsflüchtling in Österreich“, lächelt Mazur. Zwei Tage pro Woche ist sie am Abend in Salzburg, einen Großteil des Stoffs muss sie über das Fernstudium selbst erarbeiten, „überwiegend Nachts oder eben am Wochenende“. Bei Hausaufgaben und Projekten mit anderen Schülern hilft auch die moderne Kommunikation, also WhatsApp-Gruppen und Skype.

 

Jetzt, dreieinhalb Jahre später steht sie kurz vor der österreichischen Matura, die dann auch in Bayern 1:1 anerkannt wird. Wie oft bei Migranten profitiert das Bildungsland vom Ehrgeiz, auch Mazur möchte vielleicht an der FH Salzburg „Soziale Arbeit“ berufsbegleitend weiterstudieren, „und wer weiß, vielleicht bleibe ich dann auch beruflich in Salzburg, ich fühle mich jetzt als Bildungsflüchtling in Salzburg schon wohler als in Deutschland“.

 

„Ich habe es mir selbst bewiesen“

 

Auch für die 26-jährige Nadine Waritschlager aus Traunstein ist der Wunsch, das Abi nachzuholen, die Triebfeder für das Pauken neben dem Beruf. Nach der Realschule Sparz und einer Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin erkundigte sie sich nach den Möglichkeiten und entdeckte schnell das Salzburger Abendgymnasium. „Ich habe mich dann direkt vor Ort informiert, wie das mit der Anerkennung ist und wie ein Fernstudium funktioniert“, erinnert sie sich. „Durch meine mittlere Reife ersparte ich mir ein Semester, es war kostenlos, da dachte ich, das schau ich mir einmal an“. Im September 2015 startete sie die Schulkarriere in Österreich, im Februar nächsten Jahres wird sie die letzten, mündlichen Reifeprüfungen absolvieren, „dann habe ich mir selbst bewiesen, dass ich es schaffen kann“.

 

S-Bahn-Haltestelle direkt vor der Tür

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Schuldirektor Gerhard Pusch hat bayerische Schüler fest im Blick, „wir sind sehr stolz auf unsere bayerischen Schüler“.

Dass so viele Bayern in Salzburg ihr Abitur nachholen hat auch mit dem Engagement von Schuldirektor Gerhard Pusch zu tun, der jeden einzelnen Bewerber anruft und einlädt. „Zeugnisse sind nur bedingt Aussagekräftig, ich will die Bewerber kennenlernen und dann sehen, welche Motivation dahintersteckt“. Rund 180 Salzburger und Bayern ab 17 Jahren bewerben sich pro Jahr, aufgenommen wird rund die Hälfte, „natürlich bleiben nicht alle tatsächlich vier Jahre lang“. Insgesamt sind derzeit rund 500 Schüler im Abendgymnasium, „darunter 70 Schüler aus dem bayerischen Grenzgebiet, bis zum Chiemsee“. Es seien früher immer rund 100 bayerische Teilnehmer gewesen, aber die Grenzkontrollen hätten doch einige abgeschreckt. „Ich hoffe dass es mit der sehr guten S-Bahn Verbindung ab Freilassing wieder mehr werden“, so Pusch, die Haltestelle „Altstadt-Mülln“ sei ja fast vor der Schultür. Dass Schüler aus Bayern auch bei den Lehrern beliebt sind liegt auch daran, dass sie meistens eifriger und konsequenter sind und bessere Noten haben wollen, „erst vor einigen Tagen war eine Schülerin aus Bayern bei mir die sich einen 3-er unbedingt auf einen 1-er ausbessern wollte“.

 

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