Psychosen-Behandlung im Wandel der Zeit

Zwei Formen der Neuroleptika werden verordnet, Streit über Dosis

 

– Von Michael Hudelist –

 

Freilassing. Psychotische Symptome wie zum Beispiel Wahn, Halluzinationen, Erregung und Angst werden häufig mit Neuroleptika akut behandelt. Das sind Arzneimittel, die den Realitätsverlust bekämpfen. Diese hätten sich bewährt, so Prof. Matthias Dose, ehemaliger Ärztlicher Leiter am Klinikum in Taufkirchen. Im Rahmen des 10. Psychiatrischen Symposiums am Inn-Salzach-Klinikum in Freilassing erläuterte Dose allerdings, dass es unterschiedliche Fachmeinungen zur Frage gibt, wie hoch die Dosierung sein muss.

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Prof. Matthias Dose war bis 2014 ärztlicher Leiter am Isar-Amper-Klinikum in Taufkirchen, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin.

 

Neuroleptika, auch Antipsychotika genannt, werden aber auch als Beruhigungsmittel verwendet, zum Beispiel bei Unruhe, Ängsten oder Erregungszuständen, zunehmend verschreiben Ärzte diese Neuroleptika aber auch bei Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder

ADHS bei Kindern. Neuroleptika der ersten Generation sind allerdings bei bis zu 40 Prozent der Patienten unwirksam und haben zudem eine Reihe von unerwünschten Nebenwirkungen, daher wurden neue, sogenannte atypische Neuroleptika entwickelt, die weniger Nebenwirkungen auslösen. „Aktuelle Untersuchungen zeigen allerdings, dass es bei rund 1,6 Millionen mit konventionellen Neuroleptika behandelten Patienten und 1,3 Mio. mit atypischen Psychotika  behandelte Patienten keinen  besonderen Unterschied gibt“, so Dose.

 

Der ehemalige Leiter am Isar-Amper-Klinikum in Taufkirchen erinnerte an seine ersten Erfahrungen mit Neuroleptika, „früher wurde es auch als Nervendämpfungsmittel bezeichnet und auf der sogenannten ‚unruhigen Männerstation‘ eingesetzt“. Über die Höhe der Dosierung sei bei Visiten oft stundenlang diskutiert worden, „als junger Arzt geriet ich dabei in den Strom der damals üblichen Hochdosierung, jetzt bewegen wir uns wieder auf eine moderate Richtung zu“. Die Geschichte der Neuroleptika-Medikamente gehe in das Jahr 1943 zurück, als ein Antihistaminikum zur Behandlung von unruhigen Menschen zweckentfremdet worden sei. Später habe dann ein französischer Militärchirurg chlorhaltige Derivate angefordert, um psychisch kranke Soldaten zu behandeln. Ab 1954 habe auch die Industrie begonnen, sich um diese Art der Psychopharmaka zu kümmern.

 

Der deutsche Nervenarzt Hans-Joachim Haase entwickelte mit der „neuroleptischen Schwelle“ eine erste Methode zur möglichen Dosierung von Neuroleptika. Er ließ Patienten einen Satz schreiben, wenn die Schrift klein und krakelig wurde sei dass das Zeichen gewesen, dass nicht mehr höher dosiert werden dürfe. Diese Methode zur Dosis-Bestimmung hätte sich aber nicht durchgesetzt.

 

Neuroleptika bewährt

 

Nach Ansicht von Dose hätten sich Neuroleptika in der Akutbehandlung bewährt, „insbesondere bei produktiver psychotischer Symptome wie Wahn, Halluzinationen, Erregung und Angst“. Einzig die Höhe der Dosis sei noch umstritten, die Europäische Arzneimittel-Agentur als EU-Einrichtung mit Sitz in London empfiehlt 2 bis 4 Milligramm, „bis zu 20 Milligramm sind aber trotzdem noch zugelassen“. Der Psychiater aus Taufkirchen erkennt hier einen Zyklus, „waren in den 1960-er Jahren eher geringe Dosen üblich setzte sich in den 1970-er und 1980-er Jahren auch eine durch die Industrie geförderte Hochdosierung durch, während man jetzt wieder zu niedrigen Werten für die Dosis zurückkehrt“. Am Markt der neuen, atypischen Neuroleptika habe es seit den 1960-er Jahre eine Reihe von Neuzulassungen gegeben, die aber zum Teil wieder vom Markt verschwunden sind.

 

Neue Leitlinie

 

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat 2006 eine neue Leitlinie zur Behandlung mit Neuroleptika herausgegeben, „ich kritisierte allerdings, dass sich Pharmafirmen mit 30.000 Euro am Erstellen dieser Leitlinien beteiligt haben“, so Dose. Der Betrag sei von der DGPPN daraufhin wieder zurück überwiesen worden. Heute würden sowohl konventionelle, als auch atypische, also neue Neuroleptika eingesetzt, „eine Doktorandin hat 2014 bei uns in Taufkirchen herausgefunden, dass Ärzte zu rund 40 Prozent konventionelle, zu 50 Prozent atypische und zu 10 Prozent beide Neuroleptika verordnen. Bei der durchschnittlichen Verweildauer im Klinikum hat sich allerdings kein signifikanter Unterschied gezeigt“, resümiert Dose.

 

Zur Person: Matthias Dose legte 1978 sein Staatsexamen in Köln an und approbierte 1980 in München. Nach seine Habilitation 1992 an der TU München trat er 1993 die Stelle als Ärztlicher Leiter im damaligen Bezirkskrankenhaus Taufkirchen an, wo er bis Juli 2014 die Entwicklung des späteren Isar-Amper-Klinikums prägte.

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